Der Beglettext zu meine Schumann CD. Wunderschön…

Es muss da eine gemeinsame Frequenz geben.
Eine Schwingung, auf der der hörende Mensch und die Klarinette sich in ihrer Seelenverwandtschaft erkennen.
Eine Klarinette klingt – es wirkt so, als singe die Luft selbst -, und wir verstehen, dass in diesem Ton von uns die Rede ist, von ungesagten Dingen, die in uns liegen und gleichzeitig in ein anderes Gebiet hinüberreichen. Ein Ton, wie von Paul Celan erdichtet:
Solch ein einsamer Grenzgänger, einer auf dem Felsen mit Blick „hinüber“ war Robert Schumann von Anfang an. Den Transit in die Lande der Phantasie und des Traums suchte er schon als Junger, bald auch – Romantiker ganz und gar – den in die Bewusstlosigkeit und Betäubung, Musik und Alkohol die Verkehrsmittel von Hüben nach Drüben. Schumann war ein Meister der Sprache, wenn es um Musik ging – der geschriebenen Sprache wohlgemerkt, ansonsten war er ein Weltmeister im Schweigen, wie nicht nur Richard Wagner während eines missglückten Kneipenabends erfahren musste. Auch Friedrich Hebbel konstatierte anlässlich eines stattgehabten Nicht-Gesprächs „völlige Unfähigkeit, sich auszusprechen“ bei Schumann: „Ich saß nach kurzer, fast stummer Begrüßung eine Viertelstunde bei ihm. Er sprach nicht und gaffte mich nur an. Auch ich schwieg, um zu erproben, wie lange das dauern werde. Er tat den Mund nicht auf. Da sprang ich wie verzweifelt empor. Auch Schumann langte nach seinem Hute und begleitete mich eine halbe Stunde weit…zu meinem Hotel. Er ging stumm neben mir. Ich tat, grimmig geworden, desgleichen. Beim Hotel angelangt, empfahl ich mich rasch…“.
„Über manche Sachen auf der Welt lässt sich gar nichts sagen“, schrieb Schumann 1835, worauf fünfzig Jahre später Friedrich Nietzsche die böse Sottise erfand, Schumann sei beständig in die „sächische Schweiz“ seiner Seele geflüchtet.
Fest steht, dass Schumann sich aus der unkomfortablen Wirklichkeit immer öfter verschreckt zurückzog in sein Romantikerland der Träume und Märchen, wo „nicht mehr Zahlen und Figuren sind Schlüssel aller Kreaturen“ (Novalis), wo man nicht schwerfällig und ungeschickt unter Menschen herumgehen musste, deren Sprachen und Rituale man nicht beherrschte. Bei Adorno ist die schöne Formulierung zu finden, Schumanns Musik habe den Gestus des „rückwärts Hörens“: In den Märchenlanden herrscht eine andere, schlichtere, wahrhaftigere Sprache, Musik, die nach Liedern klingt, die man in frühen, glücklichen Zeiten irgendwo gehört hat und deren Melancholie nur noch ganz von fern an gehabte Schmerzen erinnert. Sachen, über die „sich gar nichts sagen lässt.“ Robert Schumann dachte in Zwischentönen, von denen er nicht annehmen durfte, dass die Allgemeinheit sie verstehen würde.- „Mitteltinten“: So nennt Christian Friedrich Daniel Schubart den Klangcharakter der Klarinette. Dass dieser Klang mit der Musik Schumanns, des Grenzgängers, gut zusammengeht, versteht sich – auch ohne Worte.
Von den hier versammelten Werken sind nur zwei original für Klarinette gesetzt, und diese beiden, deren Titel verraten, wohin die Reise mit Klarinette für Schumann ging, setzen auch den zeitlichen Rahmen für diese CD: Von den Fantasiestücken op. 73, entstanden in noch hoffnungsfroher Zeit im an Kammermusik so reichen Jahr 1849, hin zu den Märchenerzählungen op. 132 von 1853, ein letzter Sehnsuchtsgriff nach der erträumten Heimat mit schon distanziertem, bisweilen wenig märchenhaftem Unterton, komponiert direkt vor dem endgültigen musikalischen Verstummen und geistigen Rückzug – die Widmung an Albert Dietrich lässt Schumanns schlechten Zustand ahnen: „…zu langer Erinnerung am 20. Februar 1854 (einem guten Tage).“ Im Kammermusik-Umkreis der Fantasiestücke entstanden sind Adagio und Allegro op. 70, ursprünglich für Horn und Klavier, die in der Klarinetten-“Übersetzung“ glänzend-beweglich und ganz diesseitig erscheinen.
Fadensonnen
über der grauschwarzen Ödnis.
Ein baum-
hoher Gedanke
greift sich den Lichtton: es sind
noch Lieder zu singen jenseits
der Menschen.
Durchfahrt, Durchreise, Hinübergehen – die Worte listet das Etymologische Wörterbuch unter dem Begriff „Transit“ auf.Dass der Mensch auf Durchreise ist, dass es Wege in andere Welten geben muss, daran hat Robert Schumann, der passionierte Tischerücker, geglaubt. Dass seine Musik in ihren intimsten Momenten sehnsüchtig dort hinüberblickt, singt und ruft, hört man spätestens, wenn eine Klarinette Schumann spielt. Klarinetten sind seltsame Wesen, sie sind das Instrument des Transit, dem Hermes psychopompos verwandt, dem geheimnisvollen „Seelenführer“ der Antike, der die Lebenden ins Jenseits überführte.
„Dal Niente“ – aus dem Nichts – heißt ein Klarinettenstück Helmut Lachenmanns, und der Titel umfasst alles, was den Klarinettenton ausmacht: Dies Aus-dem-Nichts-Kommen, der Moment, in dem noch Nichts und schon Etwas ist, das Entstehen einer Zwischenwelt, in der ein Ton das klingende Geleit ins Dämmerland der Seele ist. Die Zutaten sind höchst irdisch: Ein bestimmtes Holz, eine bestimmte Rohrstärke, eine gewisse Art der Bohrung, ein einfaches Rohrblatt mit so und so vielen Schwingungen, Obertöne in einer bestimmten Anordnung – und der Klang dann aber doch viel mehr als die Summe seiner Teile. Die Klarinette ist der Mittler zwischen den Welten, wechselt vom Sein zum Nicht-Sein und wieder zurück, sie ist die Flaschenpost von der anderen Seite, ein Gruß aus dem Seelenland. So tönt sie schon dem Sehnsüchtigen in Schuberts „Hirt auf dem Felsen“, dessen Noten der Todkranke noch schnell auf die Post brachte, bevor es ans Sterben ging: „Mein Liebchen wohnt so weit von mir, / drum sehn ich mich so heiß nach ihr/ hinüber…Je weiter meine Stimmt klingt, / je weiter sie mir widerklingt/ von unten.“ Schubert, schon im Transit begriffen, liest vor allem die Worte: „Hinüber!“ und „Von unten!“, und die Klarinette ruft sie, wie sie überhaupt vom ersten Ton an die eigentliche Stimme dieses Stücks ist, nicht mehr von dieser Welt. Das „Drüben“ schwingt mit und verheißt etwas: Wenn Du Dich dieser Schwingung anpasst, wird Dir sterbenswohl…