„Wieso ist man immer gerührt, wenn man an Charles Koechlin denkt? Weil man nicht den grobzügigen Mann vom Künstler trennen kann. Seine Gutherzigkeit erleuchtete seine Musik, wirkliche Musik, deren sprudelnde Inspiration niemals von Wissenschaft erdrosselt wurde.“
Hélène Jourdan Morhange 1957
Label: SWRmusic
Charles Koechlin (1867 – 1950)
Music for Clarinet
Florian Henschel, Klavier
Dirk Altmann, Klarinette
Rudolf König, Klarinette
Sibylle Mahni, Horn
Gunter Teuffel, Viola
Johanna Busch, Cello
Aufnahme: Kammermusikstudio SWR 11.03.1999 (No. 1-3, 14-16) 17./18.02.2003 (No. 4-13, 17-36)
Tonmeister: Andreas Priemer (No. 1-3, 14-16), Roland Rublé (No. 4-13, 17-36)
Toningenieur: Christian Leuschner (No 4-13, 17-36) Wolfgang Rein, Arnold Lauer (1-3, 14-16) Flügelbetreuung: Werner Singer (Pianohaus Fischer)
Instrumente: Buffet Crampon, Paris ELITE (Klarinette) und Steinway & Sons.

Obgleich der Franzose Charles Koechlin zu den großen „Polystilisten“ der Musikgeschichte gerechnet wird, ein Komponist im Dialog mit den Ahnen, Lehrmeistern und Weggefährten, prägte er in seinem Werk doch einen durchaus eigenen, unverwechselbaren Ton aus. Und der vermag mit der Zeit die Wirkung einer Droge zu entfalten, bekennt der Klarinettist Dirk Altmann. Die Hörer seiner jüngsten CD werden ihm zweifellos beipflichten, denn diese Sammlung ebenso kurzer wie kostbarer Sätze, Stücke und Miniaturen reiht musikalische Glücksmomente aneinander, Augenblicke, denen man unentwegt zurufen möchte: „Verweile doch! Du bist so schön!“
Wolfgang Stähr 18.04.2005 Klassik heute 10|10|10
Faszination Charles Koechlin…
von Dirk Altmann
Die Musik von Charles Koechlin begleitet mich nun schon über eine lange Zeit. Kaum ein Kammermusikproramm, bei dem mir eines seiner Werke nicht passend erscheint. Die Monodien op. 216 von 1948 sind für mich, was die Partiten von Bach für einen Geiger bedeuten. Nur wenige Komponisten stellen einem Instrumentalisten derart existentielle Aufgaben hinsichtlich Atemtechnik, innerer Spannung und Klangsinn, verlangen so nach absoluter Konzentration auf das Wesentliche. Komponiert unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs, durch dessen Ausbruch Koechlin als bekennender Pazifist in eine Agonie des Komponierens verfiel, macht sein geradezu fassungsloses Ringen nach Ausdruck die Interpretation dieser Solostücke zu einer großen Herausforderung. Ähnlich verhält es sich mit den 14 Stücken op. 178: Der teilweise sehr unzugänglich erscheinende Klavierpart erlaubt es kaum, die Musik beim bloßen Durchspielen zu erfassen. Abwägungen von Tempo und Phrasierung sind in Nuancen auszuprobieren, bis sich ein Zugang erschließt. Doch ist dieser erst einmal gefunden, wirkt die Musik gleich einer Droge: Darius Milhaud spricht von der »Musik eines Zauberers«. Oft wird Koechlin auch als »Klangalchimist« beschrieben. Wie ein Wissenschaftler führt uns Koechlin durch die Musikgeschichte, ausgehend von den alten Meistern der Renaissance bis hin zu seinen Zeitgenossen Schönberg und Strawinsky. Kein Kompositionsstil ist ihm fremd. Polytonale Werke finden wir genauso wie Experimente mit der Atonalität. Doch bei aller Offenheit sind es vor allem Gounod und Chopin, die ihn als Kind beeinflussten, später dann Chabrier und sein Lehrer Fauré. Nie verheimlicht hat er in seinen Kompositionen seine tiefe Beziehung zu Bach. Diese außergewöhnliche Beherrschung der Materie machte ihn zum angesehensten Lehrer seiner Zeit. Poulenc, Sauguet oder Milhaud waren nicht nur seine Schüler, sondern auch Kollegen, die ihm ein Leben lang freundschaftlich verbunden blieben. Seine Instrumentationstechnik blieb bis zu seinem Tode am 31. Dezember 1950 weitgehend unverstanden, so dass man ihn erst in neuester Zeit als wichtigen Mittler zwischen Debussy und Messiaen anerkennt. Obwohl Koechlin seine ersten Kompositionsversuche mit fünfzehn Jahren unternahm, gelang ihm die volle Entfaltung seiner »Technik der musikalischen Fortspinnung« erst im relativ späten Alter von 40 Jahren. Während dieser kreativen Phase entstanden auch die Sonaten für Klarinette und Klavier op. 85 und op. 86. Meisterhaft, wie Koechlin dieser klassischen Form der Sonate neue Elemente hinzufügt. Der liedhafte Beginn lässt uns kaum die Pfade erahnen, die uns durch verschlungenes harmonisches Dickicht, über arabeskenhafte Mittelsätze hin zu den fulminanten Finali führen. Das Werk schrieb er für den damals herausragenden Klarinettisten Louis Cahuzac, der die 2. Sonate 1926 uraufführte (Cahuzac war auch im Dez. 1927 an der Erstaufführung von Schönbergs Suite op. 29 unter der Leitung des Komponisten beteiligt). Die 1. Sonate wurde leider erst nach dem Tod Koechlins, und zwar im Februar 1969, in Belgien von Jean Tastenoe uraufgeführt. Koechlin implizierte auch immer eine mögliche Orchestrierung des Klavierparts. Im Fall der beiden Klarinettensonaten realisierte er diese im Jahr 1946 und somit ist es für uns Klarinettisten wunderbar, neben der Rhapsodie von Claude Debussy noch weitere Werke dieser Epoche ins Repertoire aufnehmen zu können. In allen biografischen Notizen über Charles Koechlin findet sich die Episode über seine Liebe zum neu entstandenen Medium Film und seine unerhörte Leidenschaft für Lilian Harvey wieder. Seine Bemühungen gegen die Verflachung der Filmmusik blieben leider erfolglos. Ein solcher Versuch war die Musik zu dem dann doch nie realisierten Film »Les Confidences d’un joueur de clarinette« nach einem Roman von Erckmann-Chatrian (»Vertrauliche Mitteilungen eines Klarinettenspielers«): Kasper (Klarinette), der mit seinem Freund Waldhorn über die Lande zieht um auf Dorffesten zu spielen, ist in seine Cousine Magrédel verliebt (Romance). Nach der morgendlichen Probe mit seinem Kollegen (Aubade) pflückt Kasper noch schnell einen Strauß von Wiesenblumen und eilt zur Angebeteten (Le b’ouquet de fleurs des champs). Doch diese hat einen anderen im Kopf, einen zurückgekehrten Soldaten namens Yeri- Hans. Alle Bemühungen seitens Magrédels Vater, des Onkels Stavolo, noch die seines Freundes Waldhorn bringen Kasper von seinen Torheiten ab. Also schwören sich die beiden Musiker ewige Freundschaft und lassen den Dingen ihren Lauf (Pastorale). Ein Abendessen bei Onkel Stavolo (Musique pendant le dîner) bringt Licht ins Dunkel. Magrédel verdreht verzückt die Augen, als sie den Namen Yeri-Hans hört, Kasper und Waldhorn sind ganz verdutzt – und da Onkel Stavolo seinen Ruf als stärkster Mann der Region eh nicht verlieren möchte, zieht man gemeinschaftlich in die Schlacht (Marche familière). Beim Fest in Eckerswir (Valse rustique), nach reichlich Choucroute und »Eau de vie« (Schnaps), kommt es zum Kampf –Stavolo gegen Yeri-Hans. Als dieser jedoch Magrédel erblickt, weiß er sofort, worauf er hinauswill, also lässt er sich von Onkel Stavolo besiegen und führt Magrédel zum Tanze. »So hier will man also tanzen ; dann sollen sie tanzen!«, Kasper greift zum Instrument (Rage de Kasper). Am nächsten Morgen verlässt Kasper sein Dorf (Lamento). Nach einem einsamen Winter in den Vogesen sieht man am Ende die Freunde Kasper und Waldhorn vereint, der Frühling kommt zurück und sie machen zusammen Musik bis ans Ende ihrer Tage (Duo Final). Nachdem Koechlin bis Ende der 30er Jahre seine wichtigsten Orchesterwerke (Le Buisson ardent, 1938 und Les Bandar-log nach Kiplings Dschungelbuch, 1939) geschrieben hatte, widmete er sich in den darauf folgenden Jahren hauptsächlich der Kammermusik. Die Quatorze Pièces pour clarinette et piano op. 178 schrieb er in den ersten beiden Monaten des Jahres 1942. In diesen Meisterwerken en miniature begleiten wir Koechlin auf seine ausgedehnten Reisen. Keine mondänen Reisen in Luxushotels oder auf Schiffen, sondern Reisen mit Rucksack und Zelt, immer dabei ein schweres Gerät namens »Verascope« mit dem er fantastische Bilder machte. Spanien, Nordafrika, Türkei und besonders Griechenland lagen auf seinem Weg; und hier sind die Eindrücke verarbeitet: erhabene griechische Bergdörfer (Nr. 3), Augenblicke auf Capri (Nr. 4), Marktgetümmel in Maroco (Nr. 11) und ein berückendes Wiegenlied (Nr. 12) sind nur einige Bilder, die sich mir aufdrängen. Bleibt noch die kleine an Mozart erinnernde Idylle pour deux clarinettes op. 115 bis. Geschrieben 1936, ist sie gerade in ihrer klassischen Form überwältigend schön.
Ich bin dankbar für viele Stunden, die ich mit der Musik von Charles Koechlin verbracht
habe und wünsche mir, dass auch Sie als Hörer dem Zauber des Klangalchimisten verfallen
werden.